China und Sozialismus

10. Dezember 2020

Von Rüdiger Rauls

China bezeichnet sich selbst als sozialistisch, andererseits aber lässt die Volksrepublik das Privateigentum an Produktionsmitteln zu. Das passt für viele nicht zusammen.                     

Unser heutiges Bild vom Sozialismus ist geprägt durch die ehemalige UdSSR und die anderen Staaten, die sich als real-sozialistisch bezeichneten. Sie wurden als arm und rückständig dargestellt, wie es den westlichen Betrachtern auch heute noch im Falle Nord-Koreas und Kubas vermittelt wird.

Dabei darf nicht vergessen werden, wer dieses Bild gezeichnet hatte. Es sind die westlichen Medien, weitgehend private Unternehmen. Diese haben kein Interesse daran, sozialistische Entwicklungen durch objektive Berichterstattung zu unterstützen. Denn damit schaufelten sie ihr eigenes Grab…

Was Sozialismus ist, ist heute schwerer zu sagen denn je. Bis zum Untergang der Sowjetunion und der Öffnung Chinas für westliches Kapital schien diese Frage weitgehend klar und unstrittig zu sein: Vergesellschaftung der Produktionsmittel und Diktatur des Proletariats. Punkt. Das waren die Kriterien, die die Klassiker des Sozialismus herausgearbeitet hatten…

…bis Mitte der 1970er Jahre China sich für westliche Investitionen öffnete. Der chinesischen Regierung unter Führung der kommunistischen Partei ging es darum, die eigene Wirtschaft zu entwickeln, um die rasant wachsende Bevölkerung zu ernähren… Denn Sozialismus ist nicht nur eine Idee, er ist auch eine Hoffnung auf ein besseres Leben.Aber diese Hoffnung muss sich bestätigen, sonst verliert der Sozialismus wie jede andere gesellschaftliche Ordnung den Rückhalt in der Bevölkerung und damit seine Existenzberechtigung…

Wie wichtig gerade die Kapitalbasis als Voraussetzung für gesellschaftliche Entwicklung ist, zeigt in eindrucksvoller Weise gerade die Volksrepublik China. Nirgendwo hat der Zustrom von Kapital solch gewaltige Erfolge hervorgebracht wie in einer Gesellschaft, die sich als sozialistisch versteht und von einer kommunistischen Partei geführt wird. Ähnliches gilt übrigens auch für Vietnam.

Mittlerweile steht dieses China an der Schwelle der weltweiten Technologieführerschaft. Es ist nicht mehr nur die Werkbank der Welt, die von westlichem Kapital abhängig ist. Die Volksrepublik ist selbst einer der größten Kapitalgeber und fördert mit Projekten wie die Seidenstraße die weltweite Entwicklung von Infrastruktur…

Kapital ist zum Aufbau einer modernen Industrie unabdingbar, nicht aber der Kapitalismus. Das muss unterschieden werden. Auch China produzierte vor dem Kapitalstrom aus dem kapitalistischen Ausland und entwickelte seine Industrie und Gesellschaft. Die UdSSR hatte ihre Produktion immerhin ganz ohne westliches Kapital aufgebaut und das sogar trotz der Verwüstungen des 2. Weltkriegs und der kostentreibenden militärischen Bedrohung durch NATO und andere antikommunistische Bündnisse.

Fremdes Kapital, Kapital generell, beschleunigt die Entwicklung, die sonst aus eigener Kraft länger gedauert hätte aufgrund der übernommenen wirtschaftlichen Rückständigkeit.

Aber Kapital, auch westliches Kapital, kann Arbeitskraft und menschliche Schöpferkraft nicht ersetzen. Ohne menschliche Schaffenskraft und Genialität nützt alles Kapital der Welt nichts…

Vorhandensein und Investition von Kapital sind nicht gleich zu setzen mit dem Kapitalismus selbst. Ersteres ist ein Produktionsfaktor, Kapitalismus ist ein Wirtschafts- beziehungsweise Gesellschaftssystem.

Es sieht nur so aus, als hätte mit dem Zustrom von Kapital auch der Kapitalismus selbst Einzug in China gehalten. Aber dieser Schein trügt. Es ist nur Schein, nicht das Wesen der Entwicklung.

Im Falle Chinas, aber auch zunehmend in Vietnam fließt privates Kapital in den Aufbau privater Unternehmen innerhalb einer Gesellschaft, die sich als sozialistisch versteht… Viele bezeichnen China deshalb als Staatskapitalismus. Auch sie sehen nur den Schein, nicht das Wesentliche.

Denn Kapital ist nicht gleich Kapitalismus.

Mit der Öffnung Chinas für westliches Kapital bestand natürlich die Gefahr, dass mit dem Kapital auch das Wirtschaftssystem Kapitalismus Einfluss auf Gesellschaft und Staat ausüben könnte…

Wie die Geschichte des Imperialismus zeigt, begnügt sich der Kapitalismus nicht damit, Märkte zu erschließen. Marktöffnung und Markteintritt sind immer nur der erste Schritt. Wenn die auf diesem Anfangsniveau erzielten und erzielbaren Gewinne an ihre Grenzen stoßen, wachsen Drang und Forderung nach größeren Anteilen am geöffneten Markt.

Im Falle Chinas zeigt sich dieses Drängen derzeit in den Forderungen der kapitalistischen Staaten nach gleichberechtigtem Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen und der Öffnung weiterer chinesischer Märkte. Hier hat man besonders den Kapitalmarkt im Auge. Die chinesische Regierung gibt diesen Forderungen nach und nach statt. Aber dieses Nachgeben erfolgt nicht aufgrund eigener Schwäche gegenüber imperialistischem Druck sondern nach reiflicher Überlegung und der Abwägung der Vor- und Nachteile…

Es ist deutlich zu sehen, dass China die eigenen Interessen dabei nicht aus dem Auge verliert und diese höher gewichtet als die der westlichen Investoren.

Denn letztlich schont es auch die staatlichen Finanzen, wenn Risiken von Privatkapital übernommen werden. Diese Gelassenheit und Experimentierfreudigkeit hat zwei Gründe.

China ist eine Welt- und Atommacht, die nicht durch militärischen Druck zur Abkehr von einer sozialistischen Entwicklung gezwungen werden kann.

Zum anderen ist das Land anders als seinerzeit Chile und andere Opfer imperialistischer Putschpolitik innerlich so stabil und gefestigt, dass es keine gesellschaftlichen Kräfte gibt, die mit äußeren Feinden zusammenarbeiten und das Land von innen gefährden könnten.

Auch die untergegangene Sowjetunion hatte militärisch nicht von ihrem Sozialismus abgebracht werden können. Aber anders als sie verfügt China über den großen Vorteil einer wesentlich höher entwickelten Wirtschaft und den damit verbundenen finanziellen Ressourcen.

Die Volksrepublik ist nicht abhängig vom Kapitalmarkt sondern weltweit einer der größten Investoren und sie war zudem nie gezwungen, hohe Verteidigungslasten zu schultern. Denn im Zentrum des Kampfes der politischen Systeme stand nicht China sondern die Sowjetunion… 

Kein anderes Land der Welt und keine Epoche der Menschheitsgeschichte hat innerhalb so kurzer Zeit die intellektuelle Leistungskraft des Menschen in einem solchen Maße weiter entwickelt und in Lebensqualität umgesetzt wie die Volksrepublik.

Das ist die Perspektive und das Wesen neuer Formen sozialistischer Gesellschaften: die Entwicklung der intellektuellen Fähigkeiten und der menschlichen Genialität.

Die Seidenstraße und andere Projekte zur weltweiten Entwicklung der Infrastruktur liefern dafür einen Ausblick, aber auch die Initiative Made in China 2025. In all diesen Projekten und Initiativen stellt sich die Stärke einer sozialistischen Gesellschaft dar, der planvolle und organisierte Aufbruch einer Gesellschaft zur Technologieführerschaft in verschiedenen Bereichen, besonders aber dem Fortschritt in der Informationstechnologie.

Das ist das gesellschaftliche Ziel, zu dem Regierung und kommunistische Partei der Volksrepublik alle Kräfte des Landes aufgerufen und wofür alle gesellschaftlichen Ressourcen eingesetzt werden sollen.

Alle Produktivkräfte des Landes sind gebündelt und ausgerichtet auf die Bewältigung dieser Ziele, sie ziehen mit weitgehend vereinten Kräften an einem Strang. Und wenn man die Fortschritte sieht bei der Verwirklichung der Seidenstraße und anderer chinesischer Projekte, besteht kaum ein Zweifel, dass das Land diese Aufgaben bewältigen wird.

Zu vergleichbaren Leistungen aber ist der Kapitalismus aufgrund der unterschiedlichen Interessen seiner Akteure und der Zerrissenheit seiner Gesellschaften nicht in demselben Maße in der Lage.

Trotz der gewaltigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritte ist Entwicklung nicht unumkehrbar, wie man über lange Zeit in der Sowjetunion und den sozialistischen Staaten dachte. Das war trügerische Sicherheit, wie die Geschichte gezeigt hat. Der frühe Sozialismus sowjetischer Prägung ist selbst nach siebzigjähriger Existenz in sich zusammengebrochen und musste dem Kapitalismus weichen. Dagegen ist kein politisches System gefeit, und die politischen Gegner des Sozialismus im Wertewesten werden keine Gelegenheit ungenutzt lassen, die Schwächen der Volksrepublik China für die eigenen Interessen zu nutzen.

Aber es besteht auch immer die Gefahr, dass die großen Kapitalbesitzer im Lande selbst sich für ihre Interessen organisieren und eine neue Klasse entstehen könnte, wenn Gesellschaft und Partei in China nicht wachsam sind.

Der Sozialismus ist eine Übergangsgesellschaft vom Kapitalismus in den Kommunismus. Das heißt, dass beide Klassen noch weiter existieren nur mit unterschiedlicher Machtfülle. So wie der Adel auch in der bürgerlichen Gesellschaft weiter existiert hat, so gibt es auch weiterhin im Sozialismus noch Kapitalbesitzer.

In der Volksrepublik jedoch ist deren politische Macht gebrochen, wenn sie auch weiterhin für die Produktion von Bedeutung sind. Das ist entscheidend für den Charakter eines sozialistischen Staates.

Er hat die Macht, das Kapital als Produktionsfaktor zuzulassen und zu nutzen, aber andererseits dessen Organisierung als Klasse zu verhindern.

Augenfälliger Ausdruck dieser Machtlosigkeit der Kapitalbesitzer ist der durch die chinesischen Behörden kurzerhand abgesagte Börsengang des chinesischen Internetgiganten Ant-Financial des Alibaba-Gründers Jack Ma. Es hätte der größte Börsengang aller Zeiten werden sollen. Die chinesische Regierung hat ihm kurzerhand die Genehmigung dazu entzogen.

Nun handelt es sich bei diesem Fall natürlich um ein starkes Beispiel für die Machtfülle des chinesischen Staates und die Ohnmacht eines chinesischen Kapitalbesitzers. Das allein aber macht nicht das Wesen eines sozialistischen Staates aus.

Denn ähnliche Eingriffe des Staates in die Verfügungsrechte von Kapitalbesitzern kommen auch in kapitalistischen Staaten vor. So hat die EZB beispielsweise den Banken in der Corona-Krise nahe gelegt, keine Dividenden auszuschütten zur Stärkung der eigenen Kapitalbasis. Die Banken halten sich daran, um etwaige weitergehende Verordnungen zu vermeiden. Während der Finanzkrise 2008/9 wurden Banken verstaatlicht und zwangsfusioniert gegen den Willen der Eigentümer.

Das Beispiel Ant-Financial allein ist also kein Beweis für den sozialistischen Charakter des chinesischen Staates. Dieser kommt aber zum Ausdruck in einem Vorgang, der in der westlichen Öffentlichkeit nicht so bekannt geworden ist, vielleicht, weil die westlichen Medien diesem Ereignis nicht die Bedeutung beimessen, die ihm zu kommt.

Denn die chinesische Regierung hat die privaten Unternehmen des Landes gezwungen, „Parteizellen einzurichten“. Damit nehmen die „Parteizellen der KP Einfluss auf die Entscheidungen westlicher Konzerne“. Wenn auch die Arbeiter selbst die Betriebe noch nicht führen und besitzen, deren Produktion sie immerhin bereits durchführen, so üben sie dennoch bereits Kontrolle über und Einfluss auf innerbetriebliche Vorgänge aus.

Diese Kontrolle und Einschränkung ihrer innerbetrieblichen Macht müssen die privaten Besitzer der Unternehmen hinnehmen, ob sie wollen oder nicht.

„Offenbar bemüht sich die Kommunistische Partei (KP) gezielt, den Einfluss der Politik auf die Privatwirtschaft auszuweiten – auch auf westliche Firmen, die im Land aktiv sind. … Nach chinesischem Gesetz können Unternehmen verpflichtet werden, Parteizellen einzurichten.

Deren Mitglieder werden üblicherweise von den Firmen selbst bezahlt, leiten ihre Berichte aber an die Führung der Partei weiter.“

Das aber gibt es in keinem kapitalistischen Betrieb, in keinem kapitalistischen Land. An der Stellung der Arbeiter im Betrieb werden die neuen Machtverhältnisse deutlich und damit auch der Charakter von Gesellschaft und Staat. Und dieser Charakter ist sozialistisch.

Kontroverse zum Thema «China und Sozialismus»

Veröffentlicht am  von RÜDIGER RAULSEin Kommentar

Mein Artikel „China und der Sozialismus“ war von dem SChweizer Forum „Kommunisten.ch“ veröffentlcht und mit einem Vorspann der Redaktion versehen worden. Zu diesem Artikel gab es einen kritischen Leserbrief, den „Kommunisten.ch“ zusammen mit meiner Reaktion darauf zu einem gesonderten Beitrag zusammenfasste. Ich danke dem SChweizer Forum für die Erlaubnis, diesen Beitrag übernehmen zu dürfen, denn er bespricht wichtige inhaltliche Fragen, die zu weiterer Diskussion anregen sollen.

Beginn des Schweizer Textes:

Der kürzlich von uns publizierte Artikel von Rüdiger Rauls China und der Sozialismus hat eine Kontroverse ausgelöst. Wir veröffentlichen nachstehend die Reaktion unseres Lesers N.L. sowie anschliessend die Duplik von Rüdiger Rauls. N.L. scheint insbesondere der Bezug zum italienischen Philosophen Domenico Losurdo in Rage gebracht zu haben. Dazu müssen wir aller­dings anmerken, dass dieser Bezug in unserem Artikel-Vorspann von der Redaktion hergestellt worden war; Rüdiger Rauls hatte Losurdo im Artikel weder zitiert noch erwähnt. Da N.L. aber nur in der Einleitung auf Domenico Losurdo eingeht, im Übrigen sich aber inhaltlich mit Rauls’ Text befasst, wenden wir uns dieser Kontroverse zu. Sie dreht sich insbesondere um die Frage, wieweit in einem sich auf den Wissen­schaft­lichen Sozia­lismus berufenden System irgend­welche Spiel­arten von Privat­eigentum an Produktions­mitteln möglich sind. Oder umgekehrt: Kann ein System, das Produktions­mittel im Privat­eigentum – wenn auch in einem begrenzten Rahmen – zulässt, als ein «sozialistisches» bezeichnet werden.

Die Replik von N.L.

Die Mär vom «sozialistischen Charakter» des Rüdiger Rauls: Schützen wir den legendären italienischen Denker Losurdo vor Missbrauch!

Ihr ganzes Leben lang kämpften Engels und Marx gegen falsche Propheten des Sozialismus, gegen all die geräuschvollen Künder des «deutschen», «wahren», «Dühringschen», «Proudhonschen» usw. «Sozialismus».

Im unerbittlichen Kampf gegen diese unverbesserlichen Idealisten und Kleinbürger und ihre gegen die Interessen der Arbeiterklasse gerichteten «Theorien» entwickelten Marx und Engels auch den unvergänglich gewordenen Wissenschaftlichen Sozialismus, diesen zu jedem kleinbürgerlich-utopischen Sozalismus unversöhnlichen Gegensatz mit seinen unmissverständlichen und absolut klar formulierten Kriterien.

Privatbesitz an den Produktionsmitteln, zumal im grossen Stil wie gerade heute auch in China, kann niemals einer Gesellschaft «sozialistischen Charakter» verleihen – ausser man sei Sozialdemokrat, Selbstverwaltungs«sozialist» oder…, ja, in der Tat: oder man schütze mit faschistischem Terror jedes Privateigentum der «am meisten imperialistischen, am meisten chauvinistischen» Cliquen des Finanz- und Industriekapitals und nenne sich und eine ganze Arier-Bewegung dann auch noch … National«sozialismus»! Solle doch RüRau den Vorwurf weit von sich weisen, mit seinen hochdemagogischen Sophistereien könnte man problemlos auch bei den Nazis landen!

Sozialismus bedeutet ausnahmslos immer das Vorhandensein einer gesellschaftlichen Entwicklungsstufe, die auf dem gesellschaftlichen Eigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln gründet, die völlige Enteignung der wichtigsten Kapitalistengruppen zur Voraussetzung hat und damit die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beendet.

Doch ein Herr Rüdiger Rauls schickt sich nun an, mit gedanklichen Ergüssen zu China einen Sozialismus zu «entwickeln», der «das Privateigentum an Produktionsmitteln zulässt».

Damit nicht genug. RüRau versucht, «eurozentrischen Hochmut» all jenen unterzuschieben, die sich von ihm nicht belehren lassen, dass im China der herrschenden sozialimperialistischen Clique eben «dennoch» alles mit «sozialistischen» Dingen zu und her gehe: nämlich weil das Regime vorläufig darauf bestehe, in den privaten westlichen Unternehmen «Parteizellen einzurichten» (um der herrschenden Clique Bericht zu erstatten und Einfluss zu nehmen auf die Entscheidungen des ausländischen Unternehmens). Dies alles, schwärmt uns RüRau vor, bezeuge den «sozialistischen Charakter» der «neuen Machtverhältnisse» in China.

Doch in Wirklichkeit ist das ehemals sozialistische China längst zum Paradies für Millionäre und Milliardäre, für einheimische und ausländische Ausbeuter geworden. Wo ein paar Tausend oder Zehntausend die Eigentümer von sämtlichem gesellschaftlichem Kapitals sind, kann es für die Millionenmassen nichts mehr zu besitzen geben und leben diese notgedrungen als Mehrwertlieferanten in Lohnsklaverei.

RüRau hat zudem wohl nie etwas von den berühmten «vier Gruppen von Widersprüchen» gehört: die «Parteizellen» haben zwar nicht im Entferntesten etwas mit Sozialismus zu tun, aber sie sind ein anschauliches Beispiel für die zwischenimperialistischen Widersprüche und Feindseligkeiten unter Geschäftspartnern: der chinesischen Regierung inkl. sozalimperialistischem Parteiapparat einerseits und den ausländischen Kapitalisten andrerseits.

Dabei auch noch den Versuch zu unternehmen, den bedeutenden italienischen Denker Losurdo für sich zum Zeugen umzumodeln, das muss man schroff und als schändlich zurückzuweisen.
Dies wird dem unlängst verstorbenen Domenico Losurdo in keiner Weise gerecht.

Wenn sich im geschichtlichen Entwicklungsprozess allenfalls etwas verändert hat, dann dies, dass das heutige sozialimperialistische China gegenüber ausländischen Kapitalisten im Verhältnis zu früheren Jahrhunderten mächtiger und selbstbewusster geworden ist, als dies die kolonial beherrschten Länder vergangener Zeiten waren.

N.L.

Die Duplik von Rüdiger Rauls

Hallo Werter N. L.

Vorab ein Zitat: «Ihr ganzes Leben lang kämpften Engels und Marx gegen falsche Propheten des Sozialismus.» Das ist richtig, aber nur Nebensache. In erster Linie haben sie gegen den Kapitalismus gekämpft. Das aber scheint gerade unter Linken immer mehr in den Hintergrund zu treten. Da bekämpft man sich anscheinend lieber untereinander, vermutlich weil es zu mehr nicht reicht, so unbedeutend wie die Linke im Westen ist. Kein Wunder: Wer will sich denn mit Leuten abgeben, die sich untereinander bis aufs Messer bekämpfen? Da wendet sich doch jeder vernünftige Proletarier lieber den angenehmen Seiten des Lebens zu. Zu Recht!

Weshalb der giftige Ton? Worum geht es denn? Rechthaberei oder Erkenntnis? Wie ich schon in meinem Text sagte, die Welt verändert sich, und wir müssen diese Veränderungen deuten. Das ist historischer Materialismus. Aber einige Linke scheinen diesen Begriff als Traditionspflege zu verstehen. Die Erkenntnisse der Väter des Sozialismus sind keine Dogmen und keine Heiligtümer. Sie selbst waren doch gerade solche, die alles in Frage stellten, um die Wirklichkeit zu erkennen. Marx und all die anderen haben Erkenntnisse vermittelt auf der Basis des damaligen Wissens und der damaligen Verhältnisse. Das heißt aber auch, dass sie vieles von dem, was sich heute in der Welt offenbart, noch gar nicht wissen konnten. Da liegen immerhin über 100 Jahre dazwischen, in denen die Welt sich gewaltig verändert hat. Die Werke der Klassiker sind nicht dazu da, um sich gegenseitig Zitate um die Ohren zu hauen. Sie sind zum einen dazu da, Ähnlichkeiten zu erkennen und aus den Schlüssen, die die Klassiker damals daraus gezogen haben, Ableitungen zu finden für die heutigen Verhältnisse. Und sie sind ein hervorragendes Lehrmaterial für die Anwendung der dialektischen Methode inform von historischem und dialektischem Materialismus. Aber gerade zu diesem historischen Materialismus gehört es, Veränderungen zu erkennen und zu deuten. Historischer Materialismus bedeutet doch gerade nicht, an den Lehren von Marx ua buchstabengetreu und bibelfest festzuhalten, sondern sie anzuwenden auf sich verändernde Bedingungen. Man kann natürlich den Geist der Klassiker auf Flaschen ziehen und zu konservieren versuchen, nur darf man sich dann nicht wundern, wenn die Linke nicht mehr verstanden und nicht mehr ernst genommen wird. Mit Marx-Zitaten um sich zu werfen, heißt noch lange nicht, ihn verstanden zu haben, und schon gar nicht, wenn man damit Rechthaberei betreibt. Das ist Marxens unwürdig und wäre sicherlich von ihm auch niemals gutgeheißen worden.

Zweitens: Was haben die Linken eigentlich immer gegen Reichtum und Wohlstand? Für N.L. wie für so manche andere, die meinen Artikel kritisieren, scheint das das Ausschlaggebende zu sein: In China gibt es Milliardäre und diese sind mit Sozialismus unvereinbar. Warum? Reichtum ist nicht schlecht. Oder andersherum gefragt: Wozu soll denn Armut gut sein? Und dieser westliche naive Kloster-Sozialismus, dass alle alles miteinander teilen, war ja nie der Gedanke der Urväter. Die Westler können sich solchen Fantasien und Fantastereien hingeben, denn sie kennen keine Armut mehr. Wer von uns nach dem Krieg Geborenen hat denn noch Armut kennen gelernt? Wir haben doch alles, den meisten von uns fehlt es an nichts, besonders gilt das für jene, die sich als Linke bezeichnen. Da hat man gut reden über Bescheidenheit und das Glück der einfachen Verhältnisse. China hat seit der Öffnung mehrere Hundert Millionen Menschen aus der Armut geholt. Und das war Armut, nicht das, was wir hier im Westen für Armut halten. Das war bittere Armut wie auch in Russland, Armut die wir alle nicht mehr kennen und wofür wir dankbar sein sollten, anstatt sie als etwas Folkoristisches darzustellen.

Sozialismus ist ja für die meisten Linken hier im Westen nur so etwas Folkloristisches, eine Theorie, eine Weltanschauung, etwas Geistiges. Aber der Sinn des Sozialismus ist doch nicht eine tolle Theorie zu haben, mit der man sich von anderen abheben kann. Die meisten Linken im Westen haben längst vergessen, dass Sozialismus eine Gesellschaftsordnung ist, die die Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen verbessern will. Es geht um Wohlstand, um ein besseres Leben, eine bessere und freundliche Zukunft für unsere Kinder und die nachfolgenden Generationen. Dafür haben diejenigen ihr Leben aufs Spiel gesetzt, die in Russland und China, in Kuba und Vietnam, in Korea und einigen Ländern Afrikas für den Sozialismus kämpften. Da ging es um bessere Lebensbedingungen, um ein besseres Leben, nicht um eine Lehre. Das ist Ziel des Sozialismus, nicht die theoretische Rechthaberei. Aber es war ihnen auch bewusst, zumindest den Kommunisten, dass diese Verbesserung der Lebensverhältnisse nicht erreicht werden kann, wenn diejenigen an der politischen Macht bleiben, die die schlechten Lebensverhältnisse verschuldet hatten, die Besitzer der Produktionsmittel als KLASSE, nicht als einzelne Personen. Kapitalbesitzer ohne politische Macht sind keine herrschende Klasse mehr. Das waren sie nicht unter dem Feudalismus und sind es auch nicht mehr unter dem Sozialismus. Entscheidend ist nicht ihr Einkommen, sondern ihre Macht als politische Klasse.

Die Völker in China und Vietnam sind nun so weit, dass sie die Früchte dieses Kampfes ernten können. Sollen sie das nicht, nur weil einige westliche Intellektuelle und Salon-Revoluzzer ideologische Bedenken haben? Ich denke, dass die Menschen dieser Völker eher wissen als wir, was sie dem sozialistischen System zu verdanken haben. Sie haben dafür große Opfer gebracht, die sie sich mit Sicherheit nicht so leicht werden aus der Hand nehmen lassen. Und mit Sicherheit wissen sie das besser als linke Theoretiker und Besserwisser hier bei ums im Westen.

Und wenn die Chinesen dabei das Kapital des Westens nutzen, warum denn nicht? Sie nutzen deren Kapital, sie lassen sich aber nicht vorschreiben, wie sie ihr Land und ihre Gesellschaft zu entwickeln haben. Dafür sind die Arbeiter in den Betrieben wichtig als Zellen, damit dort Kontrolle herrscht. Aber das hat ja für den westlichen Intellektuellen keine Bedeutung. Denn der westliche Intellektuelle glaubt, dass eigentlich er derjenige ist, der für die wichtige Aufgabe der Leitung am besten geeignet wäre, nicht irgendwelche Arbeiter, die er in seinem Innersten trotz aller sozialistischen Träume doch für ungebildet hält. Aber das gesteht er sich nicht ein.

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