Die Weltinsel und das „Herzland“

Nach Mackinder kann die Weltoberfläche in folgende Gebiete eingeteilt werden:

  • Die Weltinsel, die aus den zusammenhängenden Kontinenten EuropaAsien und Afrika besteht. Dies ist die größte, bevölkerungsreichste und reichste aller möglicher Verbindungen von Ländern.
  • Die halbmondförmig angeordneten küstennahen Inseln (Inner or marginal crescent).
  • Die halbmondförmig angeordneten küstenfernen Inseln (Lands of outer or insular crescent), zu denen der amerikanische Doppelkontinent und Australien gehören.

Das Heartland (Pivot Area) liegt im Zentrum der Weltinsel und erstreckt sich von der Wolga bis zum Jangtsekiang und vom Himalaya zur Arktik. Mackinders Heartland war das Gebiet, das vom Russischen Reich regiert wurde, danach von der Sowjetunion, abzüglich der Halbinsel Kamtschatka.Die Einteilung der „Weltinsel“ in Mackinders Heartland-Theorie

Grundzüge der Theorie

Wie in anderen orthodoxen geopolitischen Theorien legte Mackinder seiner Theorie ein materialistisch geprägtes Menschenbild zugrunde, in dem Menschen im Rahmen ihrer Bedürfnisse nach Sicherheit und Wohlstand miteinander im Wettbewerb um Territorium und Ressourcen stehen. In diesem Zusammenhang sah er sich und das britische Weltreich am Ende eines kolumbianischen Zeitalters (Columbian era), das von der Wiederentdeckung des amerikanischen Kontinents für Europa durch Christoph Kolumbus an von der relativen Dominanz der Seemacht über die Landmacht geprägt gewesen sei.[4]

Im Gegensatz zu der von Alfred Thayer Mahan formulierten Theorie der alleinigen historischen Dominanz der Seemacht betont Mackinder, dass im Verlauf der Geschichte sowohl Land- als auch Seemacht als entscheidende Faktoren gewirkt haben. Einer expandierenden Landmacht sei es häufig gelungen, eine Seemacht zu bezwingen, indem sie deren Stützpunkte von der Landseite her erobert habe. Großbritanniens effektive Kontrolle über die Weltmeere verschaffte ihm bis in das 20. Jahrhundert hinein universale Hegemonie. Danach verlor es, Mackinder zufolge, durch Dampfmaschine und Motor und das in deren Gefolge aufkommende Straßen- und Eisenbahnverkehrsnetz seine Welthandelsdominanz. Die Macht Großbritanniens wurde gegenüber den kontinentalen Staaten gemindert.

Entwickelt nun das „Herzland“ des Kontinents – Westsibirien und das europäische Russland – entsprechende Verkehrswege und in ihrem Gefolge einen hohen industriellen und wirtschaftlichen Durchdringungsgrad, so wird es eine entsprechend größere Macht ausüben können. Ein mächtiger Kontinentalstaat, dem alle Errungenschaften moderner Technik zur Verfügung stünden, könnte durch eine Herrschaft über dieses „Herzland“ die Herrschaft über die gesamte „Weltinsel“ erlangen. Mackinder formulierte dies als einen in der Literatur vielzitierten Merksatz:[5]

Who rules Eastern Europe commands the Heartland
Who rules the Heartland commands the World Island
Who rules the World Island commands the World
deutsch:
Wer über Osteuropa herrscht, beherrscht das Herzland.
Wer über das Herzland herrscht, beherrscht die Weltinsel.
Wer über die Weltinsel herrscht, beherrscht die Welt.“

– Mackinder, Democratic Ideals and Reality, S. 106

Unter der „Weltinsel“ verstand Mackinder Eurasien unter Hinzunahme des afrikanischen Kontinents. Die Rohstoff- und Bevölkerungsressourcen dieses Gesamtgebietes würde die Beherrschung der kontinentalen „Randländer“ und sukzessive auch des amerikanischen und australischen Kontinents sowie Japans ermöglichen.

Bezogen auf die aktuelle Entwicklung der Weltpolitik in seiner Zeit, glaubte Mackinder: Hätte Deutschland seine gesamte Kraft auf die Beherrschung des Ostens, des „Herzlands“, konzentriert, hätte es von da aus die „Weltinsel“ unter seine Kontrolle bringen und die Seemächte von der Landseite her ihrer Stützpunkte berauben können. Er glaubte, dass die atlantischen Mächte durch den Ersten Weltkrieg nur knapp dieser Gefahr entronnen sind. Mackinder sprach die Prophezeiung aus, dass diese Gefahr nicht für alle Zeiten gebannt sei.

Die einzige Weltmacht 1997

In seinem Buch Die einzige Weltmacht (1997) begründet Brzeziński die geopolitische Strategie, die die USA als – nach dem Zerfall der Sowjetunion – erste, einzige und letzte Weltmacht seiner Meinung nach einschlagen sollten: den eurasischen Kontinent unter ihrer Kontrolle zu halten und rivalisierende Bestrebungen zu verhindern, die die Machtstellung der USA gefährden könnten:[67]

„Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können, hängt aber davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird – und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann. (…) US-amerikanische Politik sollte letzten Endes von der Vision einer besseren Welt getragen sein: der Vision, im Einklang mit langfristigen Trends sowie den fundamentalen Interessen der Menschheit eine auf wirksame Zusammenarbeit beruhende Weltgemeinschaft zu gestalten. Aber bis es soweit ist, lautet das Gebot, keinen eurasischen Herausforderer aufkommen zu lassen, der den eurasischen Kontinent unter seine Herrschaft bringen und damit auch für Amerika eine Bedrohung darstellen könnte. Ziel dieses Buches ist es deshalb, im Hinblick auf Eurasien eine umfassende und in sich geschlossene Geostrategie zu entwerfen.“

Die weltweite militärische Präsenz der Vereinigten Staaten stellt einen Faktor für ihren Status als Supermacht dar.

Brzeziński sieht den Status der USA nicht als erstrebenswertes Ziel, sondern als Faktum. Dieser Zustand wird durch verschiedene Faktoren wie die weltweite Militärpräsenz, das wirtschaftliche Potential, den technologischen Vorsprung sowie eine weltweite Affinität zur amerikanischen Kultur dargestellt. Diesen Vorsprung gelte es – allerdings nicht als Selbstzweck – zu wahren, um die globale Stabilität zu erhalten. Das Ziel sollte sein, mögliche Konkurrenten so lange auf Distanz zu halten, bis ein weltweites Regelwerk etabliert und institutionalisiert ist und bevor die eigene Macht im Schwinden begriffen sein wird. Letztendlich werden die Vereinigten Staaten die „letzte und einzige wirkliche Supermacht“ gewesen sein.[68]

Hauptschauplatz der Auseinandersetzungen wird Brzezińskis Meinung nach Eurasien sein. Alle potentiellen Herausforderer der USA kämen aus dem Raum zwischen Lissabon und Wladiwostok. Einen großen Teil des Buches nimmt eine umfassende Analyse der Region ein.[68]

Daraus entwickelt er verschiedene Handlungsempfehlungen für die Vereinigten Staaten. So soll eine deutsch-französische Führungsrolle in der Europäischen Union gefördert werden, um deren Erweiterung zu festigen. Russland solle ermutigt werden, seine eigene Rolle eindeutig im Sinne einer demokratischen und westlichen Orientierung zu definieren. Dadurch soll eine Balkanisierung in Zentralasien verhindert und ein verstärktes Sicherheits- und Stabilitätsbewusstsein in der Region etabliert werden. Außerdem müsse mit der Volksrepublik China ein Konsens gefunden werden, der nicht zu Lasten Japans geht, das Brzeziński als hauptsächlichen Verbündeten – aber nicht als Regionalmacht – sieht.[68]

Volker Rühe sieht in seiner Rezension das Ziel Brzezińskis darin, ein weltweites Regelwerk zu etablieren und zu institutionalisieren, bevor die eigene Macht im Schwinden begriffen ist.[68]

Die zweite Chance 2007

In Second Chance: Three Presidents and the Crisis of American Superpower analysiert Brzeziński die vorhergehenden 15 Jahre der US-amerikanischen Außenpolitik, in denen die USA, aus dem Kalten Krieg als Sieger hervorgegangen, die einzige Supermacht war. Er stellt dar, wie die letzten drei Präsidenten, George H. W. BushBill Clinton und George W. Bush ihre Führungsrolle verwirklichten und ihre Macht als Führer einer unangreifbaren Weltmacht ausübten. Das Buch beginnt mit einem Abriss der Geschichte des Kalten Kriegs. Der Sturz des sowjetischen Systems wird nicht als das Werk allein Ronald Reagans betrachtet, sondern als Ergebnis der Politik dreier Präsidenten im Zusammenhang internationaler Ereignisse.

Er unterscheidet in seiner Darstellung zwei Sichtweisen der Welt, die der Globalisierungsbefürworter und die der Neokonservativen.

In den drei ersten Kapiteln stellt er die Präsidenten und ihr außenpolitisches Team vor. Er erörtert die Ereignisse und Menschen, die die Außenpolitik formten. Dabei stellt er drei Hauptfaktoren in den Mittelpunkt: die Atlantische Allianz, die Nichtverbreitung von Atomwaffen und den Israelisch-Palästinensischen Konflikt. Daneben diskutiert er die Umweltpolitik, den entstehenden südamerikanischen Nationalismus und den Aufstieg Chinas und Indiens.

In den Kapiteln „Die Erbsünde“ (Bush I), „Die Ohnmacht guter Absichten“ (Clinton) und „Katastrophaler Führungsstil“ (Bush II) vergleicht er die Präsidenten und ihre Entscheidungen. Er kritisiert Bush I und Clinton und bewertet sie ähnlich negativ, aber mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Er ist am strengsten mit der Regierung Bush II, besonders hinsichtlich der Behandlung der Allianz, des Mittleren Ostens und der Umweltpolitik.

Im Kapitel „Nach 2008“ fordert Brzeziński, dass der kommende Präsident die Atlantische Allianz stärken müsse. Er müsse den Lobbyismus reformieren, Führungsstärke im Nahen Osten beweisen, in erster Linie gegenüber Israel, den Konsens in der Umweltpolitik stärken und eine Strategie für China als entstehende Weltmacht und Machtfaktor im Nahen Osten formulieren.

Er spricht die Warnung aus, dass die USA nach 2008 zwar eine zweite Chance bekommen würden, dass es danach aber zweifellos keine dritte Chance geben werde.

Strategic Vision: America and the Crisis of Global Power 2012

In Strategic Vision: America and the Crisis of Global Power stellt Brzeziński seine geopolitische Vision für die USA vor, mit der sie die Herausforderungen der geänderten weltpolitischen Lage bewältigen kann, die durch Machtdiffusion gekennzeichnet ist. In vier Kapiteln setzt Brzeziński sich mit vier Fragenkomplexen auseinander:

  1. Welche Konsequenzen hat die Machtverlagerung vom Westen nach Osten und wie wird dies von der neuen Tatsache einer politisch wachen Menschheit beeinflusst?
  2. Warum sinkt die Attraktivität der USA in der Welt? Wie verhängnisvoll sind die Symptome des inneren und internationalen Niedergangs der USA? Wie kam es dazu, dass die USA ihre einzigartigen Möglichkeiten nach dem friedlichen Ende des Kalten Kriegs vergeudet hat? Welche Kraft zur Erneuerung haben die USA und welche Neuorientierung der Geopolitik ist notwendig, um Amerikas Rolle in der Welt wieder mit neuem Leben zu erfüllen?
  3. Was wären die wahrscheinlichen geopolitischen Folgen eines weiteren Niedergangs der USA bis 2025? Wer wären die beinahe unmittelbaren Opfer? Welche Auswirkungen hätte dies auf die Probleme im Weltmaßstab im 21. Jahrhundert? Könnte China bis 2025 die beherrschende Rolle der USA in der Weltpolitik übernehmen?
  4. Welche langfristigen geopolitischen Ziele sollte sich eine wiedererstarkende USA für die Zeit nach 2025 setzen? Wie könnten die USA mit den traditionellen europäischen Alliierten die Türkei und Russland einbeziehen, um einen noch größeren und stärkeren Westen aufzubauen? Wie könnten die USA gleichzeitig im Osten ein Gleichgewicht zwischen dem Bedürfnis nach engerer Zusammenarbeit mit China erreichen und der Tatsache, dass eine konstruktive Politik weder chinazentriert sein sollte noch Verwicklungen in Konflikte Asiens nach sich ziehen sollte?
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