„2022 wird als das Jahr der ‚De-Westernisierung‘ in die Geschichte eingehen“

‚De-Westernisierung‘

5. JANUAR 2023 

Die Mehrheit der Staaten der Welt folgt den USA nicht mehr und dieser Prozess scheint an Fahrt aufzunehmen. Dazu hat der chinesische Professor Wang Wen, einer der führenden chinesischen Politologen und geschäftsführender Dekan des Chongyang-Instituts für Finanzstudien an der Chinesischen Renmin-Universität in Peking, einen sehr interessanten Artikel veröffentlicht, den Thomas Röper übersetzt hat, um dem deutschen Publikum auch einmal eine chinesische Meinung zu zeigen.

Beginn der Übersetzung:

Außerhalb von China wird das Jahr 2022 als das Jahr der „De-Westernisierung“ in die Geschichte eingehen, da immer mehr Länder die von den USA geführte Ordnung ablehnen

Die globale Wichtigkeit des Jahres 2022 wurde bisher grob unterschätzt. Seine Wichtigkeit für die Weltgeschichte übersteigt bei weitem die des Jahres 2001, als die Anschläge vom 11. September stattfanden, und die des Jahres 2008, als die globale Finanzkrise ausbrach.

Stattdessen ist das Jahr 2022 vielleicht mit dem Jahr 1991 vergleichbar, als der Kalte Krieg endete. Wenn es ein Schlüsselwort gibt, dann ist es „De-Westernisierung“.

Dabei geht es nicht nur um den radikalen Versuch Russlands, die von den USA dominierte internationale Ordnung durch den Einsatz militärischer Gewalt zu durchbrechen. Es geht auch um die nicht-westlichen Länder, die auf der Suche nach einer unabhängigeren Position in beispielloser Weise gegen die etablierte Ordnung aufbegehren.

Nach dem erfolgreich abgehaltenen 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas und trotz der Herausforderungen durch Covid-19 und trotz des wirtschaftlichen Abschwungs bewegt sich China stetig auf sein Ziel zu, bis 2050 eine moderne sozialistische Macht zu werden.

In Brasilien bedeutet die Wiederwahl von Luiz Inacio Lula da Silva zum Präsidenten, dass 80 Prozent Lateinamerikas nun von linken Regierungen regiert werden – in den letzten Jahren haben auch Mexiko, Argentinien, Peru, Chile, Honduras, Kolumbien und andere Länder linke Führer gewählt. Sie treten dafür ein, sich von den USA zu distanzieren und eine größere Unabhängigkeit und Integration Lateinamerikas zu fördern.

In Südostasien, wo kürzlich die Gipfeltreffen der ASEAN, der G20 und der Apec stattfanden, hat der Verband Südostasiatischer Nationen sorgfältig die gleiche Distanz zu China wie zu den USA gewahrt und seine neutrale Position durch regionale Solidarität und wirtschaftliche Vitalität gestärkt.

In Zentralasien haben die Staats- und Regierungschefs Kirgisistans, Kasachstans, Usbekistans, Tadschikistans und Turkmenistans den Konsultationsmechanismus der Staatschefs weiter gestärkt und wichtige Dokumente unterzeichnet, darunter einen Vertrag über „Freundschaft, gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit für die Entwicklung Zentralasiens im 21. Jahrhundert. Den gleichem Abstand zu Russland, den USA, Europa und anderen Mächten wahrend, tritt Zentralasien in eine neue Phase der nationalen Konsolidierung und regionalen Integration ein.

Im Nahen und Mittleren Osten, die den arabischen Frühling und die Anti-Terror-Kriege der USA erlebt haben, konzentrieren sich die 22 Länder der arabischen Welt zunehmend auf ihre strategische, unabhängige Entwicklung. Die Vision 2030 von Saudi-Arabien, die nationale Vision 2030 von Katar, die neue Vision 2035 von Kuwait, die Vision 2040 von Oman und die Vision 2050 der Vereinigten Arabischen Emirate sind langfristige Entwicklungspläne, die die Erwartungen der Welt geweckt haben.

Die jüngste Austragung der Fußballweltmeisterschaft in Katar, das Gipfeltreffen zwischen China und den arabischen Staaten und das Gipfeltreffen zwischen China und dem Golfkooperationsrat (GCC) haben das weltweite Ansehen und den Einfluss der Region ebenfalls gestärkt.

Regionalmächte, die von Größe träumen, halten auch eine gewisse Distanz zum Westen. Indien hat sich dem westlichen Druck widersetzt, sich den Sanktionen gegen Russland anzuschließen, und hält an seiner Politik der Zusammenarbeit mit China und Russland fest. Als Präsident der G20 im Jahr 2023 hat Indien eine große Chance, seinen Einfluss zu vergrößern.

Westliche Medien neigen dazu, sich auf das G2-Szenario des Wettbewerbs zwischen den USA und China zu konzentrieren, während die Welt ein zweigleisiges Szenario der westlichen Hegemonie gegen eine de-westernisierte und unabhängigere Entwicklung präsentiert.

Der Westen kann diesen Trend nicht aufhalten. Die USA haben die Welt in den großen Krisen des vergangenen Jahrhunderts angeführt, aber ihre Führungsrolle hat im Zuge der Covid-19-Pandemie und des Krieges in der Ukraine an Überzeugungskraft verloren. Das geschah in einer Zeit, in der die USA mit der Bewältigung der Covid-19-Epidemie, des Rassenkonflikts, der wirtschaftlichen Erholung und der politischen Ordnung vor noch nie dagewesenen innenpolitischen Herausforderungen stehen.

Unterdessen geht der Anteil Europas an der Weltwirtschaft weiter zurück. Und Indiens Wirtschaft ist in dem Jahr, in dem ein Mann indischer Abstammung britischer Premierminister wurde, größer geworden als die seines ehemaligen Kolonialherrn Großbritannien.

Nach den offiziellen Statistiken Chinas standen die ausländischen Direktinvestitionen des Landes im Jahr 2020 erstmals an erster Stelle in der Welt. Bei der Produktion und dem Handel mit Waren steht das Land bereits an erster Stelle.

In den letzten Jahren hat China auch viele westliche Länder bei der Anziehung von ausländischem Kapital übertroffen, was zeigt, dass das Kapital nicht immer im Westen gebunden ist. Im Jahr 2022 trat das weltweit größte Freihandelsabkommen, die Regionale Umfassende Wirtschaftspartnerschaft (RCEP), in Kraft. Darin spiegelt sich der Verlust des westlichen Monopols auf den Freihandel wider.

Diese De-Westernisierung erstreckt sich auch auf eine zunehmende De-Dollarisierung des Welthandels, da sich die Länder vom US-Dollar abwenden, sowie auf eine „De-Amerikanisierung“ der Technologie.

In den letzten 20 Jahren ist der Anteil des US-Dollars an den internationalen Währungsreserven kontinuierlich von über 70 Prozent auf unter 60 Prozent gesunken und befindet sich nach Angaben des Internationalen Währungsfonds derzeit auf einem 25-Jahres-Tief. Mit der vierten industriellen Revolution haben die europäischen und amerikanischen Länder auch ihren technologischen Vorsprung bei intelligenter Technologie, Quantencomputing, Big Data, 5G und mehr verloren.

Insgesamt bietet die nicht-westliche Welt ein Bild, wie man es noch nie gesehen hat. Ihre Antwort auf die westliche Hegemonie besteht nicht unbedingt in Konfrontation, Konflikten oder dem Beharren auf Kontrolle und Gleichgewicht.

Stattdessen schütteln sie einfach die westliche Kontrolle ab, indem sie ihre nationalen Interessen zunehmend in den strategischen Mittelpunkt stellen. Eine demokratischere Form der internationalen Politik und gegenseitiger Respekt sind ihre Hauptforderungen.

Ein gleichberechtigteres politisches Verhältnis zwischen dem Westen und dem Rest ist im Entstehen begriffen und das wird ein wichtiges Merkmal der Weltpolitik in diesem dritten Jahrzehnt des 21.Jahrhunderts sein. 2023 wird die Welt nicht sanft sein, aber die Bewegung der De-Westernisierung ist unumkehrbar und wird sich nur weiterentwickeln.

Ende der Übersetzung

 http://www.anti-spiegel.ru

https://linkezeitung.de/2023/01/05/2022-wird-als-das-jahr-der-de-westernisierung-in-die-geschichte-eingehen/

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